Natalie Golob

Entwicklungscoach

Lesedauer: 10 Minuten

Veränderung kann nicht nur schwierig sein. Sie ist es. Punkt! Selten weiß man zu Beginn eines Veränderungsprozesses, wie es weitergehen soll und wo das alles hinführt. Für mich persönlich galt schon immer, dass es keine Abkürzung vom einem zum anderen Ort gibt. Die ausgetretenen Schleichwege früherer Generationen führen gefühlt oft ins Nirgendwo. Und unnötig lange oder unbequem muss es auch nicht sein. Nichts gegen Tourismus, aber das Gefühl brennender Fußsohlen, sobald der Umweg mal wieder zu beschwerlich ist, ist auch nicht mein bevorzugtes. Wo also ist der richtige Weg?

Bei dieser Suche kann sich schon einmal Frustration und zunehmende Unsicherheit in einem selbst breit machen. Während meiner Weiterbildung zum Digital Transformation Manager an der Shiftschool in Nürnberg hatte ich das Glück, einige Gespräche mit Natalie Golob führen zu dürfen. Straßenschilder hat sie nicht für mich aufgestellt. Die Mühe meinen Weg zu finden, musste ich mir schon selbst machen. Aber wertvolle Hinweise gab es von ihr, wenn auch aus einer anderen Ecke und in anderer Form als zunächst erwartet. 

Hallo Natalie! Es ist schön Dich mal wieder zu sehen und sich mit Dir auszutauschen. Vorab erstmal Danke für Deine Zeit hier im Eckbüro39. Du, mit einem Blick auf meine digitalen Kanäle fällt mir seit längerer Zeit auf, dass mir wahnsinnig viele „Coaches" angezeigt werden. Die Bandbreite der Angebote ist riesig. Ich kann das kaum überblicken. Es gibt für alles ´nen Trainer. Du bist eben auch Coach. Erzähl doch bitte, worum es geht.

Gerne!

 

Was macht Deiner Meinung nach einen guten Coach aus? Welche Skills muss ich mitbringen, wenn ich mich mit Menschen auf dieser Ebene beschäftigen möchte?

Aus meiner Sicht und auch Erfahrung brauchst Du zwei Dinge am allermeisten. Du musst Dich selbst als Mensch gut kennen und führen können mit allen Fähigkeiten und Qualitäten und fast noch wichtiger mit Deinen Grenzen und "wunden Punkten". Entscheidend ist auch Dein Vermögen einen guten Kontakt und eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.

Dann gibt es natürlich noch anderes Wichtiges. Ein theoretisches Koordinatensystem, Wissen zu psychischen Dynamiken, Lernen, Gruppendynamik, Organisationspsychologie usw., ein kraftvolles Methodenset. Ich persönlich finde Sprache, im Sinne von passender Ansprache, kluge Fragen stellen können, sowie die richtigen Worte finden noch sehr wesentlich. Und Humor 😉

 

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Auf https://vitale-arbeitskultur.de/ trifft man ein illustres Team um Dich herum, unter anderen auch Sven Latzel, mit dem ich bereits ein Interview zum Thema Organisationsentwicklung geführt hatte. Es geht viel um VUCA, also Volatilität, Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, und um „Neue Arbeit“. Was versteht ihr darunter und wie passen Eure Inhalte dazu?


Für uns ist das Thema Neue Arbeit ein evolutionäres Thema, um nicht zu sagen DIE Aufforderung "erwachsen" zu werden - im Sinne von wirklich selbstverantwortlich und souverän. Das Außen, also VUCA, gibt nur den Anlass für eine innere Entwicklung für Menschen und Organisationen. Innere Stabilität und Vertrauen in die Möglichkeiten statt scheinbare äußere Stabilität und Kontrolle der Unsicherheiten. Das sind riesige Entwicklungsmöglichkeiten für uns alle. Rauswachsen aus alten Rollen und über sich hinaus.

Dafür muss eine Organisation erstmal Platz und Möglichkeiten bieten, wenn sie sich auf den Weg macht. Unser Angebot ist tatsächlich die Begleitung eines Wegs, kein Ziel - das ist mir ganz wichtig. Wir kommen nicht automatisch bei New Work und Selbstorganisation raus. Von Good old school bis New Work kann alles dabei sein, passend zu dem was die Organisation, was die Menschen brauchen.

Dafür habe ich mir Kolleg*innen gesucht, die den selben Geist haben und mich ergänzen, so dass wir in der Begleitung wirklich alles anbieten können. Von Coachings über Team- und Leadership-Trainings, Design Thinking oder Change Storytelling bis hin zu Kunst und Ritual. Change- und Prozessbegleitung in einem Stück. Seriös und überraschend bedient sie sich aus der ganzen Bandbreite von neuen und bewährten Mitteln.

 

Du warst als Regisseurin und Pädagogin längere Zeit am Theater aktiv. Wie kommt es dazu den Schritt von dort in die Wirtschaft zu wagen? Das ist ja eine völlig andere Welt mit scheinbar unbekannten und neuen Mechanismen. Oder täusche ich mich und es gibt vielleicht Parallelen?


Meine Brücke war das Unternehmenstheater, also mit den Mitteln des Theaters in der Organisation zu arbeiten. Da hatte ich beides: die Kunst und das, was sich in Organisationen abspielt. Das Zusammenspiel von Menschen ist im Theater ja das, worum sich alles dreht und man kann das wunderbar in der Wirtschaft beobachten: wie Dinge implizit verhandelt werden, die im Theater explizit inszeniert werden.

In der Team- oder Organisationsentwicklung zum Beispiel nimmt man das dann wieder auseinander. Man schaut auf die Rollen, die Spiele, die sich als kulturelle Muster etabliert haben, die informelle und offizielle Hierarchie, was extrem spannend ist. Dann kommt die Frage für die Regie. Wollen wir das so oder wollen wir das anders? Und dann wird neu inszeniert. Rollen werden beschrieben und besetzt. Spielregeln werden erarbeitet und im Alltag eingeübt. Das was man im Theater die Kernaussage des Stücks nennt, also die Sinnstiftung, wird geklärt.

Das heißt nicht, dass wir pausenlos Theater spielen, aber Bühnen, Rollen und Stücke gibt es. Ich finde die Analogie oft sehr hilfreich und arbeite viel mit szenischen Methoden um zu forschen, auszuprobieren oder zu verankern. Rolle und Wahrhaftigkeit schließt sich dabei auch überhaupt nicht aus. Denn die Rolle ermöglicht mir mich in einer meiner Facetten wahrhaftig zu entfalten. Im Beruf heißt das gleichzeitig authentisch und professionell zu agieren. Das passt wiederum gut zur Neuen Arbeit.

 

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So wie ich Dich einschätze war Dir im Kulturbereich sicher nicht langweilig. An welchem Punkt hast Du gemerkt, dass sich etwas verändert? Oder genauer: Du dich selbst veränderst?


Ich hatte irgendwie immer viel Glück. Ich habe damals parallel am Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne gearbeitet. Dort wurde ich angefragt, ob ich ein Moderationstraining mit einem Kollegen halten könne. Zwar hatte ich noch nicht viel Ahnung, hab aber mal „ja“ gesagt. Dadurch hab ich mir ein neues Feld erschlossen und wollte sehen, wohin mich das führt.

In der Süddeutschen Zeitung hab ich dann über Unternehmenstheater gelesen, mich bei einer Beratungsfirma beworben und schon war der Weltenwechsel da. Lustigerweise war mein erster Auftrag mit dem Unternehmenstheater für die Boston Consulting Group. Da ich die aber in meiner Theaterwelt gar nicht kannte, war ich beim ersten Termin extrem entspannt und wir haben den Auftrag bekommen.

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Also, auch wenn man viel über Veränderungsprozesse weiß oder auch schon selbst welche durchgemacht hat, treffen einige härter als andere und das ist vielleicht auch der Punkt, an dem Du ins Spiel kommen kannst. Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass das so ist?


Je höher meine Identifikation, umso größer der Schmerz, wenn sich was ändert. Je größer mein Sicherheitsbedürfnis, umso alarmierender, je leerer meine Energiereserven umso belastender, je geringer mein Glaube an mich selbst umso größer meine Unsicherheit in Veränderungen. Es gibt viele Faktoren, die es leichter oder schwerer machen.

Ganz leicht ist es nie. Das ist einfach so. Alle durchlaufen einen ähnlichen Prozess – schneller oder langsamer, manche bleiben irgendwo hängen. Um genau diesen Prozess kollektiv und individuell gut zu durchlaufen ist eben die Begleitung ein gutes Mittel. Gehen muss allerdings jeder selbst. Und das Losgehen ist oft nicht leicht. Bei mir selber übrigens auch nicht immer.

 

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In Veränderungen steckt viel Potenzial für persönliche Entwicklung. Was braucht es, um das zu nutzen?


Eine möglichst angstfreie Umgebung, Bezüge, Menschen, die Dich (aus-)halten können, eine gute Selbstwahrnehmung und ganz wichtig Selbstfürsorge, andere Dinge, die Dir wichtig sind, ein gesundes Maß an Gottvertrauen, nenn ich es jetzt mal: „Es wird sich schon finden“ und wieder Humor, ja sogar Selbstironie, kann hilfreich sein.

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Was meinst Du: Haben sich die Veränderungen verändert oder bewegt uns Menschen im Wesentlichen das selbe wie eh und je?


Große Frage! Ich glaube, die Dynamik und die Gleichzeitigkeit von Veränderungen ist aktuell schon besonders, ähnlich wie in der Industrialisierung. Gleichzeitig gibt es menschliche Entwicklungsaufgaben, die uns bewegen, die sind und bleiben universell. Pubertät, Berufe ergreifen, älter werden, Krankheit, Sterben, Liebe, Trennung, Tod, Eltern werden und auch die Veränderung unserer natürlichen Umgebung wie wir sie jetzt durch den Klimawandel erleben.

Das ist für mich persönlich eine echte Herausforderung nicht in Horrorszenarien abzurutschen wie "Frühling und kein Vogel singt". Ich hoffe sehr, wir kriegen noch die Kurve.

 

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Als Coach ist man ja auch irgendwie Hebamme und unterstützt den natürlichen Prozess. Was ist Dir dabei besonders wichtig?

Ja, ich begleite die Wehen. Das heißt ,ein Schritt vor und zwei zurück - und das möglicherweise eine ganze Zeit. Da ist für mich wichtig, dem/der Coachee das Wissen um und das Vertrauen in diesen natürlichen Prozess zu geben. Immer wieder freundlich auf sich selbst zu schauen, mit sich Geduld zu haben und frei nach Rilke in die Antworten hinein zu wachsen.

Gleichzeitig unterstütze ich sie/ihn darin der persönlichen Sinnstiftung und Ausrichtung näher zu kommen. Da wird dann der aktuelle Prozess in einem größeren Zusammenhang nochmal anders erlebt. Mir ist auch wichtig, persönliche Ressourcen bewusst und zugänglich zu machen und ganz kleine Dinge vom Neuen in den Alltag zu integrieren.

 

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Wie stehst Du zum Scheitern und dazu, es nicht mehr versuchen zu wollen, also aufzugeben. Kann das auch ein Ergebnis eines Coachingprozesses sein? Also im Sinne von Hoffnung aufgeben. Ist das aus Deiner Sicht auch ein gehbarer Weg oder sollte man sich die Hoffnung immer bewahren?


Manchmal ist der Apfel einfach noch nicht reif und man kriegt ihn nicht ab, obwohl man so dran zieht. Dann ist es sehr klug aufzugeben. Für den Moment! Manchmal kann man es nicht "machen", sondern muss auf eine Fügung warten. Dann ist das Aufgeben ein Öffnen für das was kommt. Im Buddhismus ist Hoffnung das Gegenstück zu Befürchtung und genauso hinderlich für ein glückliches Leben. Ein Buddhist würde also sagen, lass die Hoffnung guten Mutes fahren, dann bist Du frei.

Da das aber echt was für Fortgeschrittene ist, würde ich sagen: aufgeben ist manchmal der allerbeste Weg, sich frei zu machen und das was wir nicht kontrollieren können für uns arbeiten zu lassen. Mit einer klaren Ausrichtung kommt es dem, was Du Dir wünscht, vielleicht sogar recht nahe. Darauf kann man hoffen.

 

Natalie Golob und Markus UtomoNatalie Golob und Markus Utomo

Stichwort "Künstliche Intelligenz"! Kann Eure Arbeit digitalisiert werden? Wie behauptet man sich in einer zunehmend technologisierten Welt?


In der Prozessbegleitung und der Moderation sind wir, glaube ich, aktuell schwer zu ersetzen. Anders als in der Wissensvermittlung und sogar im Coaching gibt es gute Tools. Auch wenn ich absolut an die Wirksamkeit der Begegnung und das ganzheitliche Lernen mit allen Sinnen glaube, ist es auch für mich wichtig, mich strategisch klug aufzustellen.

Aktuell bin ich mit meinem Bürokollegen Markus Utomo dabei, einen Bot zu entwickeln, der nach dem Workshop oder nach dem Coaching beim Transfer unterstützen kann - nach dem Motto "Analog lernen – digital verankern". Beim Nürnberg Digital Festival 2019 werden wir´s vorstellen.

 

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Was tust Du darüber hinaus selbst, um dich auf die Zukunft einzustellen und mit ihr umgehen zu können? Es gibt ja z. B. Menschen, die sich für eine gewisse Zeit zurückziehen, um eine eigene Vision für ihr Leben zu entwickeln.


Ja, das hab ich auch schon gemacht. Vier Tage mit Wasser und lauter großen Fragen in der Natur. Sehr gut war das für mich. Eine Mutprobe und zugleich die Erfahrung, dass ich gemeint bin und dass irgendwie für mich gesorgt ist. Wenn mich manchmal Zukunftsängste überkommen, versuche ich mich daran zu erinnern.

Außerdem habe ich wirklich gute Erfahrungen mit Ausrichtung und Fügungen gemacht. Wir üben das auch immer in meinem Büro. Meine Kollegin übt gerade "weniger arbeiten – mehr verdienen" und es klappt super. Sie kommt immer erst um 11 Uhr.

 

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Hast Du abschließend einen Rat für uns alle? Oder eine ganz einfache Maßnahme, die wir in unseren Alltag einbauen und umsetzen können?


Mir hat einer meiner wichtigsten Mentoren, der Peter Hammerer, Bergführer, Spielpädagoge und Unternehmensberater mal gesagt: „Mache alles 100 prozentig, aber identifiziere Dich nicht, dann bleibst Du frei.“ Das war ein wirklich wichtiger Satz für mich. Vielleicht inspiriert er Euch auch. Ansonsten bin ich ein Fan von kleinen STOPs im Alltag: Drei mal tief atmen, kurz Augen zu, eine Runde um den Block – wahrnehmen, wie ist es gerade, wie geht es mir eigentlich. Nur wahrnehmen. Damit wir uns nicht selbst verloren gehen vor lauter VUCA.


Vielen Dank Natalie und eine schöne Zeit!

 

Fotografie: Verena Kaister - @wowwauphoto